Wie schon erwähnt, hatte ich für den dritten Tag in Venedig keinen festen Plan. Kein Pflichtprogramm, kein Ehrgeiz. Nur noch einmal in die Lagune, ganz ohne Aufwand und Stress. Ich wollte die Atmosphäre der Stadt noch einmal spüren – ihren Rhythmus, ihren Puls.
Auch wenn ich sagte, ganz ohne Kamera – nun ja, nicht ganz. Meine kleine Vollkompakte war dann doch im Gepäck. Man weiß ja nie.
Inhaltsverzeichnis

Flanieren, Staunen, Abschied nehmen
Ich ließ den Tag ruhig angehen. Kein früher Aufbruch wie an den Tagen zuvor. Vom Fähranleger in Zattere folgte ich wieder dem Strom, über die Ponte dell’Accademia hinein in den Stadtteil San Marco. Einige Ecken kannte ich ja bereits – die Orientierung fiel leicht, der Weg war vertraut.
Ich nutzte die Ruhe, um in einige Kirchen zurückzukehren, ließ die überbordende Pracht auf mich wirken, verweilte in den Schatten, zwischen Steinen und Licht. Auch an manchen Schaufenstern blieb ich stehen – besonders vor den berühmten Maskengeschäften. Kunstvoll gefertigte Masken, fein bemalt, aufgereiht wie Geschichten. Von Folklore bis Fetisch reichte die Auswahl.
Und auch das eine oder andere interessante Motiv lief mir noch vor die Linse. Dem Glücklichen, der eben doch eine Kamera dabei hatte.



Der Mythos vom Gestank
An dieser Stelle möchte ich noch mit einem oft kolportierten Gerücht aufräumen: Venedig soll stinken.
Ich kann das in keinster Weise bestätigen. Über der ganzen Stadt lag kein unangenehmer Geruch. Keine faulige Lagune, kein modriger Atem. Man hatte bestenfalls eine Nuance von See- und Brackwasser in der Nase – typisch für Städte am Wasser, aber keineswegs störend.
In den dunkleren, schattigen Gassen war die Nähe zum Wasser spürbar. Ein leicht klammes Gefühl, ja. Aber nichts, was einem den Aufenthalt vergällen würde. Im Gegenteil – es gehört dazu.

Letzte Blicke, letzter Gang
Ich folgte weiter dem Strom der Menschen, ließ mich treiben, landete schließlich erneut auf dem Markusplatz. Noch einmal widmete ich mich den Details der Basilika: den Fresken, den Figuren, der kunstvollen Ordnung im barocken Überfluss.
Ich beobachtete die Gondolieri am Kai, wie sie aufgeregt unter ihren Zelten warteten – auf Kundschaft, auf den nächsten Moment, auf Bewegung.
Am Nachmittag war es Zeit für den Abschied. Von den Gassen. Von den Schatten. Von Venedig. Ein letztes Mal setzte ich über nach Fusina.
Abschied aus Fusina – Auftanken vor der Rückfahrt
Auch von Fusina hieß es langsam Abschied nehmen. Ein letzter Gang zum kleinen Konsum, um Vorräte für die kommenden Tage aufzustocken. Am Abend dann: eine letzte echte italienische Pizza im Bistro – dünn, heiß, einfach gut.
Ich sah zu, dass ich noch einmal alles auffüllte: den Wassertank, die Stromreserven, die Kameraakkus. Alles bereit. Ich war gerüstet für die Rückreise.
Aber: Ich wollte den Weg in den Norden nicht einfach nur am Lenkrad verbringen – zugegeben, das wäre wenig inspirierend gewesen. Also suchte ich nach Zwischenstationen, die sich sinnvoll in die geplante Route einbauen ließen. Orte, die mehr boten als Asphalt und Rastplatzkaffee.
Ein erstes Ziel war schnell gefunden im Trentino. Nicht nur wegen seiner türkisfarbenen Bergseen bekannt, sondern auch für seine zahlreichen Burgen und Festungsanlagen.
Gerade entlang meiner geplanten Strecke durchs Etschtal reiht sich eine historische Anlage an die nächste. Ein Paradies für Neugierige – und für Fotografen wie mich.
Einen besonderen Stopp legte ich am Castello di Avio ein – einer jener Orte, die plötzlich zwischen den Hügeln auftauchen und wirken, als würden sie dort schon ewig wachen. Hoch über dem Etschtal gelegen, mit Blick bis fast nach Verona, thront die Anlage auf einem Felssporn wie aus einem Historienfilm.
Ich nahm mir Zeit für eine kleine fotografische Erkundung – und wer Lust hat, tiefer in die Geschichte dieser beeindruckenden Festung einzutauchen, findet dazu einen eigenen Artikel hier im Blog. Es lohnt sich.

Reisekasse
Östereich (AT)Eintages-Vignette 9,30 EUR (aus DE)
10-Tags Vignette 12,00 EUR
Italien (IT)
Autobahn Maut ≈ 7,5 ct/km
Venedig-Brenner 26 EUR

Brennerblick und Vignettenlogik
Am frühen Nachmittag ging es weiter gen Norden, quer durch die alpine Landschaft. Nächster Halt: ein alter Bekannter – der Brennerpass. Nicht das erste Mal, dass ich diese Passage nahm, und vermutlich auch nicht das letzte Mal.
Spätestens jetzt rückte auch wieder Österreichs Vignettenpflicht ins Blickfeld. Letzte Chance, um legal über die Brennerautobahn zu kommen. Und was soll ich sagen: Kommt man aus Italien, gibt es keine Eintages-Vignette – kennen die hier nicht. Also wurde es eben die Zehn-Tage-Version.
Erkenntnis des Tages: Lieber gleich die große Lösung nehmen. Flexibler ist’s allemal.
Aber das war an diesem Nachmittag nur die kleinere Baustelle. Ich brauchte auch noch einen Übernachtungsplatz. Und wie so oft half mir mein bewährter Quartiermeister weiter.
Ein paar Kilometer brachte ich noch zwischen mich und den Pass. Mein anvisiertes Nachtquartier: ein ruhiger Platz nahe Innsbruck, in Unterperfuss.
Ruhe in Unterperfuss – und ein Blick auf morgen
Ein überschaubarer Platz, sauber, ruhig – und von einigen wortkargen österreichischen Bergbewohnern als Dauercamper bewohnt.
Zu später Stunde übernahm der Wirt des angeschlossenen Gasthauses die Verwaltung – unkompliziert, mit einem Stück Schmäh und dem Charme jener Ösi-Gastlichkeit, bei der man nie ganz weiß, ob’s ein Witz war oder nicht.
Nach einem Fahrtag wie diesem passiert meist nicht mehr viel. Abendessen, etwas Luft, dann fallen die Augen von selbst. Doch ich nahm mir noch einen Moment, um die Route für den nächsten Tag zu planen.
Es sollte wieder ein fotografisches Ziel werden. Anvisiertes Zwischenziel: Deutschland, oberhalb von München. Eine Etappe, die gut machbar war – nicht zu lang, nicht zu kurz. Und dank einiger gut vernetzter Webseiten zum Thema Lost Places fand ich auch schnell ein passendes, interessant klingendes Objekt, das ich ansteuern wollte.
Am nächsten Morgen ging es ausgeruht weiter Richtung Heimat. Ich umkurvte noch den ein oder anderen größeren Hügel und setzte bei Scharnitz über die Grenze. Und ja – da war sie wieder, diese gewisse Grenze.
Unsere Kolonne kam zum Stillstand, deutsche Grenzpolizisten empfingen mich zurück in der Republik. Und ein Bulli zieht eben immer Blicke auf sich.
So kam es, dass ich einer freundlichen Beamtin einen kleinen Einblick in mein rollendes Reich gewährte – neugierig, aber herzlich. Es wurde geschmunzelt, gewunken – und weiter ging’s.

Ein Wald, ein Ziel – und das Geheimnis von Straß
Der Tag war noch jung, und so ging es weiter Richtung Norden – zur anvisierten Zwischenstation. Leider hatte ich keine exakten Geo-Daten, sondern nur den Ortsnamen Straß und eine eher vage Beschreibung zum Standort der Anlage.
Das Objekt sollte irgendwo abseits im Wald liegen. Was bedeutete: kleine Wanderung nicht ausgeschlossen.
Ein Blick auf die Karte verriet, dass es außer ein paar Forst- und Wanderwegen keine wirkliche Zufahrt gab. Also suchte ich ein schattiges Plätzchen für Herman, rüstete mich mit Kamera, Wasser und Neugier – und machte mich auf in den Wald.
Manchmal wirkt eine Strecke auf der Karte länger, als sie am Ende ist. In diesem Fall: angenehm überschaubar. Nach nicht ganz zwei Kilometern tauchten die ersten Spuren der Anlage im Unterholz auf – rostiges Metall, Betonfragmente, eingefallene Dächer zwischen Baumstämmen.
„Das Geheimnis von Straß“ war bereit, zumindest in Teilen, gelüftet zu werden.
Was sich genau hinter dieser vergessenen Anlage verbirgt, erzähle ich bald ausführlich in einer separaten Dokumentation hier im Blog – mit Bildern, Hintergrund und Geschichte.
Es lohnt sich, dranzubleiben.
Fahrtag mit Maß – und ein Grillabend am Ausee
Nach der kleinen Abenteuertour im Wald machte ich noch ein paar Kilometer gut und fand bei Neuburg an der Donau ein komfortables Plätzchen für die Nacht.
Für den nächsten Tag hatte ich einen echten Fahrtag eingeplant – denn mittlerweile hatte sich ein fixer Termin bei einem alten Bekannten ergeben. Also hieß es: Strecke machen, um rechtzeitig in der Gegend zu sein. Ziel Heute: Hof.
Die Wahl kam nicht von ungefähr. Die gesamte Tour hatte mir deutlich gezeigt: 300 bis 350 Kilometer pro Tag sind ein idealer Richtwert. Man schafft unterwegs noch einen Zwischenstopp und kann in Ruhe am Nachmittag mit der Quartiersuche beginnen.
Auf der Hinfahrt hatte ich Etappen von 500 bis 600 Kilometern – und ganz ehrlich: Das war mir zu viel. Ich fahre gern, keine Frage. Aber übertreiben – besonders im Urlaub – muss man auch nicht.
Am späten Nachmittag erreichte ich entspannt den Campingplatz am Ausee, kurz hinter Hof gelegen. Ein kleiner Platz, direkt am Wasser, ruhig und angenehm gelegen. Ich nutzte die Gelegenheit für eine schnelle Abkühlung im See – nach einem heißen Fahrtag eine Wohltat.
Dann noch einmal Vorräte bunkern, Wassertank auffüllen, Stromkabel anschließen. Und als Tageskrönung: Die Platzgemeinde lud für ein schmalen Taler zum Grillabend – das Abendessen war also ebenfalls gesichert.
Strumpfdollar und verschlossene Türen – ein Zwischenstopp in Sachsen
Bevor es zu meinem eigentlichen Termin ging, sollte noch ein weiteres Objekt vor die Linse. Schließlich wollte ich meine Zeit sinnvoll nutzen – und nicht nur den Bulli quer durch die Republik kutschieren.
Ganz in der Nähe entdeckte ich auf der Karte einen möglichen Kandidaten, der noch einmal eine spannende Fotoserie versprach. Noch vor Mittag erreichte ich Lichtenstein – ein kleines, unscheinbares Örtchen mitten in Sachsen, nahe Zwickau.
Wahrscheinlich fragt sich jetzt jeder, was es dort Besonderes zu sehen gibt?
Nun, hier stand einst das berühmte Strumpfkombinat ESDA – seinerzeit Hersteller feinster Wirkwaren der DDR. Die Produkte waren so begehrt, dass man sie auch den „Sachsendollar“ nannte. Ein Großteil der Produktion ging in den Export.
Die Anlage war relativ schnell gefunden – ein Zugang allerdings nicht. Wie so oft bei solchen Objekten, war das Erdgeschoss komplett gesichert.
Die Sicherung wirkte recht frisch, und so ließ ich es bei einer ausgiebigen Umrundung und einer mentalen Notiz: Hier lohnt sich ein zweiter Versuch – aber nicht heute.
Was ich von außen erkennen konnte, sah vielversprechend aus. Ich bin mir sicher: Es wäre eine fantastische Fotostrecke geworden. Aber manchmal ist eben Geduld die bessere Entscheidung.
Heute war nicht der Tag dafür.
Venedig im Bulli – Rückblick auf 2.800 Kilometer Freiheit
Fast 2.800 Kilometer liegen hinter mir. Vom ersten Aufbruch bis zum letzten Fotostopp – mit Sonne, Staub, Schatten, Pizza, Passstraßen, Lagune und leerstehenden Industriehallen.
Was als Reiseziel begann – Venedig – wurde unterwegs mehr als das. Es wurde ein roter Faden. Ein Grund loszufahren. Aber nicht der einzige Grund, unterwegs zu bleiben.
Ich bin kein Tourist gewesen. Und auch kein Pilger. Ich war ein Reisender mit Zeit. Und das ist vielleicht der größte Luxus, den man sich heute leisten kann: Zeit, ohne Plan. Und einen Bulli, der nicht fragt, wohin.
Vendig im Bulli – Was bleibt?
Die italienische Leichtigkeit des Seins. Das organisierte Chaos mit Charme. Die Kirchentür, die sich öffnet, wenn draußen der Asphalt glüht. Der Espresso im Schatten. Die flimmernden Silhouetten Venedigs im Gegenlicht. Die stillen Gassen. Das klamme Gefühl an den Hauswänden. Der Puls ein außergewöhnlichen Stadt.
Und ja – ich habe nicht alles geschafft. Einige Orte blieben verschlossen. Aber vielleicht ist das das Beste daran: Dass man nicht fertig wird. Dass immer noch etwas offenbleibt.
Damit man wieder losfährt. Irgendwann.