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Genau genommen hätte all das hier schon längst passiert sein sollen. Aber gewisse Institutionen hatten im letzten Jahr Einwände gegen meinen Plan. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – sagt man, und recht hat man.

Dieses Jahr stand die Kompassnadel fest auf Süden. Bulli, Kamera, Abenteuerlust – die große Tour konnte beginnen. Es war mehr als nur ein Trip. Es war die Einlösung eines alten Versprechens an mich selbst.

Der Wunsch, Italien zu bereisen, lebt schon lange in mir. Aber da war noch etwas anderes, etwas Konkreteres: Venedig. Die Stadt der Kanäle, der Schatten und Spiegelungen. Ich wollte sie sehen – und fotografisch ergründen.

Inhaltsverzeichnis

Lost Place Alt Daber
Erster Stop – Lost Place Alt Daber

Freiheit auf vier Rädern – Der Plan war keiner

Der große Plan stand – darin bestand der Witz: Es gab keinen. Zumindest keinen festen. Endziel: Venedig. Alles dazwischen: offen. Ein Reiseprinzip, das ich zu schätzen gelernt habe. Kein Druck, kein Zeitplan. Einfach irgendwo ankommen – oder eben nicht.

Auch für Venedig selbst hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch kein klares Ziel. Ich hatte vorab ein paar Campingplätze rund um die Lagune recherchiert und eine lose Auswahl zusammengestellt. Die Idee: eine praktische Basis schaffen, um bequem und ohne viel Aufwand in die Lagunenstadt zu gelangen.

Aber das lag alles noch rund 1000 Kilometer entfernt.

Den ersten Stopp plante ich bewusst. Nach knapp 100 km, fast schon traditionell: ein Lost Place, der schon lange auf meinem Radar war, sich bislang aber nie wirklich ergeben hatte. Jetzt war der Moment da. Nach knapp 100 Kilometern begann meine Tour mit einem ersten fotografischen Streifzug. Die erste Photoserie dieser Reise war im Kasten – das Abenteuer offiziell eröffnet.

Danach ging es weiter gen Süden. Doch meine Lust, an diesem Tag noch viel weiter zu fahren, verließ mich auf der Höhe von Gera. In der Nähe von Münchenbernsdorf entdeckte ich einen kleinen Waldparkplatz – ruhig, abgeschieden, genau richtig für die erste Nacht.

Wie so oft: Die App Park4Night erwies sich als Goldgrube. Sie ist mehr als nur ein Helfer. Sie ist ein Kompass für alle, die gerne draußen schlafen, aber ungern auf den Charme der Wildnis verzichten.

Letzte Ausfahrt Deutschland

Ein neuer Tag, ein neuer Abschnitt gen Süden. Nächstes anvisiertes Etappenziel: die Grenze zu Österreich. Die Frage, die mich dabei umtrieb: Was stelle ich an mit Österreich und seiner Vignettenpflicht? Die Durchfahrt in 24 Stunden – machbar, kein Problem. Also, so mein ursprünglicher Gedanke, müsste eine Tagesvignette reichen. Praktisch, effizient – so der Plan.

Ohne Zwischenfälle schnurrte der Bulli über die Autobahn. Die Kilometer fielen reihenweise, das Ziel war klar: Rosenheim, kurz vor der deutsch-österreichischen Grenze. Nur ein kurzer Zwischenstopp in Ingolstadt – Vorräte auffrischen, ein bisschen Nachschub besorgen – und dann weiter, immer weiter, dem Süden entgegen.

Das Nachtquartier für diesen Tag: ein kleiner Wanderparkplatz am Rande der Stadt. Abgelegen, ruhig – fast. Denn vis-à-vis lag ein überraschend belebter Golfplatz. Und das, obwohl das Wetter eher in die Kategorie „nass und grau“ fiel und es bereits spät war.
Also lautete das Abendprogramm dieses Tages: Sport. Nicht meiner, versteht sich – aber immerhin in Sichtweite.

Erstes Quartier für die Nacht auf der Tour nach Venedig
Das erste Quartier für die Nacht

„Die beste Reise ist die, deren Richtung sich mit dem Wind ändern darf.“

Die Alpen in Österreich
Die Alpen in Österreich

Pfingstverkehr und Postkartenkurven

Ohne großes Aufsehen ging es am dritten Tag über die Grenze nach Österreich. Die Tagesvignette war besorgt – alles im grünen Bereich. Doch schon kurz hinter der Grenze staute sich der Verkehr. Nicht etwa wegen Grenzkontrollen im klassischen Sinne, sondern wegen einer Baustelle.

Man darf nicht vergessen: Es waren die Tage vor Pfingsten. Wer da glaubt, auf den Straßen Richtung Italien herrsche Ruhe, ist ein Narr – oder Optimist.

Vor mir lag die Raststätte „Inntal“. Statt mich schon am frühen Morgen in die wartende Blechlawine einzureihen, entschied ich mich für ein zweites Frühstück. Kaffee, Sonne, ein bisschen Überblick. Das Wetter? Bestens. Die Temperaturen näherten sich südlichen Standards, man roch beinahe schon die Adria.

Die Aussicht hingegen, zwei Stunden lang die Grasnarbe neben der Leitplanke aus dem Fahrerfenster zu studieren, hatte wenig Reiz. Also: Planänderung. Statt Autobahn ein Schwenk auf die Landstraße. Spontan, aber überfällig.
Zugegeben: Das machte die vorher investierte Vignette ziemlich sinnlos. Hätte man sich denken können – aber so ist das eben unterwegs. Reisen heißt manchmal auch: Geld ausgeben für den kurzen Moment, in dem man merkt, dass man es besser weiß.

Bei Kufstein verließ ich die schleppende Karawane auf der Autobahn und folgte der Landstraße Richtung Kitzbühel. Im Nachhinein betrachtet: eine glatte Verbesserung. Viel schöner, viel sehenswerter – und so viel näher dran am echten Unterwegssein.

Kilometer um Kilometer schraubte sich der Bulli hinauf in die österreichische Alpenlandschaft. Links und rechts: grüne Almwiesen, darauf Milchkühe mit riesigen Glocken, die im Takt ihrer eigenen Gemütlichkeit bimmelten.

Die Gipfel über mir: dramatisch, wolkenverhangen, fast theatralisch. Der Sommer war hier oben noch im Anmarsch – aber schon spürbar, irgendwo zwischen den Kurven.

Felbertauern – Tunnelblick im Hochgebirge

Ein jedes Ende hat seinen Ort. Dieses Mal lag er hinter Mittersill. Die bis dahin entspannte Fahrt fand ein abruptes Finale inmitten steiler Serpentinen, wo sich plötzlich das Rotlicht einer wartenden Blechlawine vor mir auftat. Ohne zu wissen, was mich erwartete, reihte ich mich in die zweispurige Schlange ein. Was hätte ich auch anderes tun sollen?

Der Felbertauerntunnel in Österreich
Kein Ende in Sicht …
Einfahrt zum Felbertauerntunnel in Österreich

Im 20-Minuten-Takt schoben wir uns Meter für Meter den Berg hinauf. Überdachte Passagen kündigten an, was da vor uns lag: der Felbertauerntunnel. Eine beeindruckende Ingenieurleistung – vor allem, wenn man ihn zum ersten Mal durchquert. Auf 1.632 Metern über dem Meeresspiegel frisst sich die Strecke über fünf Kilometer durch den Berg. Der tatsächliche Gebirgspass liegt weit darüber – auf 2.465 Metern – und ist unpassierbar. Der Tunnel ist die Abkürzung durchs Gestein.

Zehn Minuten Beton. Enge. Nässe. Lichtschlieren auf der Windschutzscheibe. Eine kurze Reise durch das Innere der Alpen – für 13,50 Euro (Stand 06/2025). Kein Schnäppchen, aber ein Betrag, den man im Reisebudget besser eingeplant hat.

Großen Radrennen in Österreich
Halb Österreich war mit dem Radel da…

Zwischenstopp mit Aussicht und ein geplatzter Plan

Da sich der Zeitdruck wegen der 24-Stunden-Vignette erledigt hatte und Bulli wie Fahrer nach Nachschub verlangten, suchte ich mir in Österreich noch eine Übernachtung. Außerdem wurde es langsam Zeit, Venedig konkreter zu planen. Mein Quartiermeister – die App Park4Night – empfahl mir einen kleinen Platz nahe Oberdrauburg, der auf Anhieb einen guten Eindruck machte. Also wurde das mein Tagesziel.

Ein kleiner, sauberer Platz am Ortsrand. Keine überflüssige Bürokratie, kein Check-in-Schalter. Einfach ankommen, einen Stellplatz finden – sofern nicht reserviert – und am Morgen wurde abgerechnet. Ganz unkompliziert. Und er lag genau auf meiner geplanten Route für den nächsten Tag. Besser konnte es kaum laufen.

Auch der morgige Plan nahm Kontur an: weiter auf der Landstraße, südlich bis zur E70 und dann direkt rüber nach Venedig. An der alten Grenze lag außerdem noch ein spannendes Fotomotiv – ein Freilichtmuseum zum Gebirgskrieg 1915–18. Perfekt für einen kurzen Zwischenstopp. Soweit der Plan.

Doch Pläne haben die Eigenschaft, sich zu verändern.

Gegen neun Uhr morgens erschien der Platzverwalter zum Kassieren – und mit schlechten Nachrichten. Die geplante Strecke war an diesem Tag nicht befahrbar. Ein Radrennen – groß aufgezogen – schnitt genau durch mein Vorhaben. Teile der Route waren bereits seit den frühen Morgenstunden gesperrt.

Ich musste umplanen. Die neue Route machte zwar einen Bogen, brachte mich aber direkt auf die A27 in Italien – geografisch sogar kürzer als mein ursprünglicher Plan. Ein kleiner Umweg, mit klarem Ziel.

Drei Zinnen, vier Felgen, null Nerven

Gemächlich ging es nun südwestlich durch die österreichische Berglandschaft. Bei einem kurzen Stopp bei Vierschach registrierte ich beiläufig: Ich war längst in Italien. Offene Grenzen haben eben ihren Charme.

Aber wer glaubte, damit sei der anstrengende Teil geschafft, der irrte. Die Berge waren noch nicht vorbei – im Gegenteil. Vor mir lag der Naturpark Drei Zinnen. Und der verlangte noch einmal alles – vom Fahrer wie vom Fahrzeug.
Der Aufstieg verlief angenehm – soweit man das als norddeutscher Flachländer überhaupt beurteilen kann. Doch die Abfahrt wurde zur echten Herausforderung. Die Nebenstraßen waren schmal, teils in schlechtem Zustand, schlängelten sich zwischen Hängen und Lichtungen.

Ausweichmöglichkeiten? Mangelware. Die Kurven eng, manchmal 90 Grad scharf, aneinandergereiht wie Perlen auf einer Kette. Alles ging bergab, und zwar richtig bergab. Mehr als 20 km/h waren nicht drin – und trotzdem wurde es heiß.

Irgendwann rollte ich mit dem Bulli auf einen kleinen Platz vor einem Sägewerk. Eine Pause, die wir beide dringend nötig hatten. Alle vier Felgen – oder besser: die Bremsscheiben – glühten fast rot. Als hätte jemand auf allen vier Herdplatten gleichzeitig den Regler auf Max gestellt.

Auf dem Weg nach Venedig
Dringende Pause für die glühenden “Herdplatten” …
Vorbei am Lago di Centro Cadore nach Süden Richtung Venedig
Lago di Centro Cadore

Wasserfarben und Wegweiser

Die Gipfel der Dolomiten lagen nun fast hinter uns. Herman’s Bremsscheiben hatten wieder sowas wie Normaltemperatur erreicht, und es ging weiter Richtung Süden. Die Straße schlängelte sich durch Lorenzago di Cadore, einem Ort am Piave, der sich mit jedem weiteren Kilometer breiter machte und schließlich in den Lago di Centro Cadore mündete – einen jener sagenumwobenen Bergseen des Trentino.

Immer wieder öffnete sich zwischen den Bäumen der Blick hinunter auf das Wasser. Türkis. Klar. Leuchtend. Wie frisch angerührt. Man sollte meinen, als Norddeutscher wüsste man, wie Wasser aussieht. Aber was sich hier in der Tiefe spiegelte, war eine andere Liga. Vielleicht lag es an der klaren Bergluft, vielleicht am Sonnenstand – doch dieses Türkis hatte mit den grau-blauen Nuancen von Nord- oder Ostsee nichts zu tun. Es war flüssiges Licht, eingerahmt von Tannen und Geröll, ein Anblick, der kurz das Atmen vergaß.

Die Bergseen des Trentino liegen da wie gemalt – kein Mensch, kein Lärm, nur Farbe. Das Wasser: mal still wie Glas, mal von Wind durchzogen. Kein Ort zum Verweilen, und doch will man genau das. Aussteigen, schweigen, schauen. Und sich merken, dass Schönheit manchmal keine Worte braucht.

Mit jedem Kilometer mehr auf der Uhr verschwanden nun auch die Dolomiten im Rückspiegel. Auch die dramatischen Wolkenkaskaden lösten sich auf, ersetzt von einem flimmernden Schleier aus Licht, Wärme und diesem ganz eigenen Geruch von Süden – Adria in der Nase, Venedig im Herzen.

Wie geplant mündete mein Weg schließlich auf der E 27. Es dauerte nicht lang, bis die ersten Schilder auftauchten: Venezia. Mein Ziel war zum Greifen nah.

Ankommen in Fusina – Bulli, Platz, Aussicht

Irgendwo zwischen den letzten Serpentinen fiel dann auch die endgültige Entscheidung: Fusina sollte es werden. Ein Campingplatz mit direkter Verbindung zur Lagune – strategisch ideal gelegen für meine Pläne in Venedig. Und ganz nebenbei: auch auf direkter Linie meiner Route.

Zugegeben, ich setzte einmal mehr auf meine altbewehrte Formel 1-1-1 (ein Bulli, ein Mann, eine Nacht). Und vielleicht war das ein bisschen optimistisch gedacht, denn man darf nicht vergessen: Es war Pfingstsonntag, als ich mein diesjähriges Ziel erreichte.

Doch der Empfang war herzlich, charmant und italienisch durch und durch. Auf meine vorsichtige Frage ein Lächeln, ein Schulterzucken, ein “No problema – gerne!” Die Anmeldung? Locker. Eine kurze Einweisung. Keine zehn Minuten später war ich schon unterwegs zur Stellplatzsuche.

Ja, der Platz war gut gefüllt – aber nicht überlaufen. Keine strikte Stellplatzordnung, kein deutscher Parzellenzwang. Jeder stand, wie er passte: nach Form, nach Größe, nach Gefühl. Und da war es wieder, dieses typisch italienische Unkomplizierte, das ich schon in früheren Reisen zu schätzen gelernt hatte.

Ich drehte eine langsame Runde über den Platz, sondierte die Lücken – und fand rasch, was ich suchte. Ganz oben am Kai hielt ich für einen Moment inne, öffnete die Tür, stieg aus. Und dann sah ich sie.

Fährverbindung Fusina-Zattere, Entspannt in 20 min rüber in die Lagunenstadt
Der erste Blick vom Kai in Fusina auf die Lagunenstadt Venedig
Der erste Blick vom Kai in Fusina auf die Lagunenstadt

Die Lagune.
Weit unten lag das Wasser, aufgewühlt wie ein zerknittertes Leinentuch im Wind. Und am Horizont, kaum greifbar, stiegen sie auf: die Silhouetten von Venedig. Türme, Kuppeln, Schatten. Keine Stadt. Ein Versprechen.

Der erste Blick – kein Paukenschlag, sondern ein Staunen im Zeitlupentempo. Die Lagunenstadt zeigte sich nicht, sie ließ sich erahnen. Sie lag vor mir – ein flimmernder Schatten hinter einer windgepeitschten Bucht. Ich war angekommen. Und noch längst nicht dort.

Und im zweiten Teil gehts weiter mit der Entdeckung von Venedig.

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