Stell Dir eine Zeit vor, in der der Himmel nicht mehr die Grenze ist, sondern der Anfang eines neuen Abenteuers.
Die Entwicklung der Raketentechnik hat diese Vision Wirklichkeit werden lassen – aber sie begann an einem Ort, der vom Krieg gezeichnet war. Die Heeresversuchsstelle Peenemünde, das einstige Zentrum der deutschen Rüstungsforschung, wurde zum Geburtsort der modernen Raumfahrt.
Dieser Artikel entführt Dich in eine Welt voller technischer Innovationen, ethischer Konflikte und menschlicher Ambitionen, die letztlich den Weg zu den Sternen ebnete.
Inhaltsverzeichnis
Spontane Gelegenheiten
Auf meiner jüngsten Fototour zur Insel Usedom nutzte ich auch die Gelegenheit, dem beschaulichen Örtchen Peenemünde einen Besuch abzustatten. Mein letzter Besuch lag gut 25 Jahre zurück, daher wollte ich die sich jetzt bietende Möglichkeit nutzen.
Am nördlichen Zipfel der Insel gelegen, beherbergt der kleine Ort das Historisch-Technische Museum Peenemünde. Diesem Museum wollte ich schon lange einen Besuch abstatten, denn neben einem umfassenden geschichtlichen Einblick in die Heeresversuchsstelle Peenemünde bietet die weitläufige Museumsanlage zudem reichlich fotografische Motive.
Auf dem Außengelände finden sich verschiedene Großexponate, vornehmlich aus der Zeit zwischen 1936 und 1945. Die vor Ort existierenden Gebäude gelten noch heute als Meilensteine der deutschen Industriegeschichte.
Aus fotografischer Sicht kann man da einfach nicht widerstehen, und eine kleine Geschichtsstunde unserer jüngeren Vergangenheit kann ebenfalls nicht schaden.
Der Standort Peenemünde auf Usedom
Geschichtlich betrachtet war der „Peenemünder Haken“ bereits des Öfteren Schauplatz territorialer Auseinandersetzungen, vornehmlich mit skandinavischen Eroberern. Aufzeichnungen und Funde reichen hier bis in das 11. Jahrhundert zurück. Zu großer Bekanntheit gelangte das Dorf spätestens in den 1930er-Jahren mit der Errichtung der Heeresversuchsstelle Peenemünde.
Bereits Ende der 1920er-Jahre forschte die deutsche Militärführung intensiv an Flüssigkeitsraketentriebwerken. Der Versailler Vertrag schränkte zwar die Entwicklung von großkalibriger Artillerie ein, jedoch nicht die von Fernraketen, die zum Ende des Ersten Weltkrieges noch nicht absehbar waren.
Erste Versuchsreihen und Brennversuche fanden noch in der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf südlich von Berlin statt. Für Raketenstarts war das Gelände um Kummersdorf allerdings ungeeignet.
Ab den 1930er-Jahren begann daher unter der Leitung von Major Walter Dornberger, Projektabteilung „Wa Prüf 11“, eine intensive Standortsuche für ein neues Testgelände.
Diese Entscheidung fiel Ende 1935 schließlich auf den „Peenemünder Haken“, die Nordspitze der Insel Usedom. Hier boten sich ideale Möglichkeiten, entlang der pommerschen Küste in Richtung Ostnordost Raketen abzuschießen und deren Flug von der Insel Ruden aus bis zu 400 km weit zu beobachten.
„Meilenstein der Industriegeschichte“
Die Heeresversuchsstelle Peenemünde
Ab 1936 erfolgte sukzessive der Aufbau der Heeresversuchsstelle Peenemünde („Werk Ost“), die ab 1938 durch die Anlagen in Peenemünde-West („Werk West“, später Versuchsstelle der Luftwaffe Karlshagen) ergänzt wurde.
Parallel zu den vielen Versuchsständen der Anlage entstand zwischen 1939 und 1942 das heute noch erhaltene Kohlekraftwerk. Mit einer Leistung von 30 Megawatt versorgte das Kraftwerk die gesamte Heeresversuchsstelle Peenemünde mit Energie.
Auch die Abwärme aus dem Befeuerungsprozess wurde über ein Fernheizungssystem zum Beheizen der Anlagen genutzt. Ein Großteil der produzierten Energie wurde jedoch für die anlaufende Serienfertigung der Raketen, speziell für die Produktion von flüssigem Sauerstoff als Treibstoffkomponente, benötigt.
Gesteuert wurde der gesamte Komplex aus der separat errichteten Schaltwarte, einem Hochbunker mit bis zu zwei Meter dicken Wänden und Decken, der gleichzeitig auch als Luftschutzeinrichtung fungieren sollte.
Die Schaltwarte beherbergt heute den Eingangs- und Kassenbereich des Museums und führt zudem eine umfangreiche Büchersammlung. Das Kraftwerk mit seinen Nebengebäuden zeigt neben vielen Originalobjekten in einer umfangreichen Ausstellung unter anderem die Entwicklung der Raketentechnik am Standort Peenemünde.
Bis 1945 wuchs die Heeresversuchsanstalt Peenemünde, mit einer Gesamtfläche von 25 km², zum größten militärischen Forschungszentrum Europas heran.
In Spitzenzeiten arbeiteten bis zu 12.000 Menschen gleichzeitig an neuartigen Waffensystemen und entwickelten hier den weltweit ersten Marschflugkörper und die erste funktionierende Großrakete, die Aggregat 4 (A4, später ab November 1944 in der NS-Propaganda „Vergeltungswaffe V2“ genannt).
Vater aller Dinge …
Heraklit von Ephesos formulierte einst: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge …“. Und tatsächlich zeigt sich im historischen Rückblick, dass technische Innovationen häufig mit militärischer Aufrüstung einhergehen.
Ein solcher Innovationsschub zeigte sich auch in der Raketentechnik in Peenemünde. Mit dem ersten erfolgreichen Flug der Aggregat 4 am 3. Oktober 1942 wurde die ballistische Rakete zum ersten von Menschen gebauten Objekt, das in den Grenzbereich zum Weltraum vordrang. Daher kann man behaupten, dass Peenemünde allgemein als „Wiege der Raumfahrt“ gilt.
Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Personalie Wernher von Braun. Bereits Ende 1932 trat er als Zivilangestellter in das Raketenprogramm des Heereswaffenamtes ein. Zwischen 1935 und 1937 entwickelte er in enger Zusammenarbeit mit dem Team von Ernst Heinkel ein Raketentriebwerk.
Das zu diesem Zeitpunkt stark expandierende Raketenprogramm stieß jedoch schnell an seine Grenzen auf den Versuchsfeldern in Kummersdorf und Neuhardenberg.
Daher wechselte das gesamte Team unter strenger Geheimhaltung 1937 auf das neu geschaffene Versuchsgelände in Peenemünde, um hier die theoretischen und technischen Probleme anzugehen, etwa die Lageregelung und Steuerung der Raketen.
Bis 1945 fungierte Wernher von Braun als leitender technischer Wissenschaftler in der ehemaligen Heeresversuchsstelle Peenemünde („Werk Ost“) sowie in den Anlagen Peenemünde-West („Werk West“).
Im Zuge der „Operation Hydra“ 1943 rückte die HVA Peenemünde verstärkt in den Fokus der Alliierten. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Serienfertigung der A4 (V2) nach Mittelbau-Dora in Thüringen verlagert wurde.
Als Teufelspakt, Opportunismus oder womöglich als Naivität könnte man die Verflechtungen von Wernher von Braun und anderer Raumfahrtbegeisterter mit dem NS-Regime bezeichnen, die glaubten, nur so ihren Traum von Weltraummissionen umsetzen zu können.
In jedem Fall organisierte Wernher von Braun sehr effizient seinen Stab zur Raketenentwicklung in Peenemünde. Und auch nach Kriegsende, mit seiner Übersiedlung in die Vereinigten Staaten, blieb Wernher von Braun in der Raketenforschung aktiv und war maßgeblich an der Entwicklung der Pioneer- sowie der Saturn-Rakete beteiligt, die schließlich im Apollo-Programm der NASA mündete.
„Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man sie einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise.“
Wernher von Braun
Öffnungszeiten
Historisch-Technisches Museum
April-September: 10.00-18.00 Uhr
Oktober-März: 10.00-16.00 Uhr
November-März: Mo. geschlossen
Aktueller Eintrittspreis 12,– EUR
Sehr zu empfehlen, die Fahrt auf das Dach des Kraftwerkes! (zzgl. 1,– EUR)
Unterm Strich
Die Geschichte der Heeresversuchsstelle Peenemünde auf Usedom zeigt eindrucksvoll die enge Verbindung von technologischem Fortschritt und militärischen Interessen.
Bis heute erinnert das Historisch-Technische Museum Peenemünde an diese bewegte Zeit und bietet Besuchern die Möglichkeit, die Entwicklung der Raketentechnik und ihre Rolle in der deutschen Geschichte aus nächster Nähe zu erleben.
Peenemünde bleibt ein Ort, an dem sich die Spuren der Vergangenheit mit den Hoffnungen und Träumen der Zukunft verknüpfen – ein Meilenstein der Technikgeschichte, der sowohl zum Nachdenken als auch zum Entdecken anregt.