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Flugfeld Alt Daber – Gestern und Heute

Weniger als 1 MinuteLesestoff für Minuten

Flugfeld Alt Daber – Gestern und Heute

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Fast wäre es auch in diesem Jahr wieder zu spät gewesen. Anfang Juni, an einem dieser Tage, an denen sich das Licht weich über das Land legt, steuerte ich das Flugfeld Alt Daber an. Ein Ort, der schon lange auf meiner Liste steht – doch immer wieder durch das Leben verdrängt wird.

Eigentlich hatte ich diese Tour für das Frühjahr geplant, wenn das junge Grün noch nicht alles überwuchert, die Sicht auf Mauern und Brüche freigibt, die Geschichte erzählen. Doch 2025 ist ein Jahr voller Ereignisse – und so nimmt man die Zeit, wie sie kommt. Oder besser: wie sie gerade noch passt.

Inhaltsverzeichnis

Hangar am Flugfeld Alt Daber

Erster Halt Flugfeld Alt Daber

Seit Jahren fahre ich mit einer gewissen Regelmäßigkeit an diesem Lost Place vorbei. Immer mit dem stummen Versprechen: „Bald nehme ich mir die Zeit.“ Diesen Sommer jedoch steht Alt Daber ganz oben auf meiner Liste. Und so ist mein erstes Etappenziel bereits nach gut hundert Kilometern erreicht auf meiner diesjährigen großen Sommertour.

Das Gelände ist nach wie vor gut zugänglich – die alte Infrastruktur des ehemaligen Flugfeldes dient heute der Zufahrt zum dominierenden Solarfeld. Vom Glanz vergangener Zeiten zeugen nur noch einige Hangars und angeschlossene Zweckbauten: einst Kommandozentrale, Werkstatt, Aufenthaltsraum. Verfallen, aber nicht vergessen. Fotografisch reizvoll bleibt der Ort allemal. Wer sich Zeit nimmt – und ausreichend Speicherplatz auf der Kamera – kann rund fünf Kilometer zu Fuß zurücklegen, um sich ein umfassendes Bild zu machen.

Wer mag, kann auch die Rollbahn überqueren und einen Blick auf die verbliebenen, gehärteten Flugzeugunterstände aus der russischen Ära werfen. Die meisten jedoch, so viel lässt sich vor Ort erkennen, sind zugemauert – und ihr Inneres wird kaum noch Geschichten erzählen. Höchstens die des Verschwindens.

Geschichte, die unter Gras und Beton schläft

Doch was wäre ein Ort ohne seine Geschichte? Der Charme von Alt Daber liegt nicht allein in seinen Ruinen, sondern in dem, was hier geschah – oder vielleicht auch nicht geschah. Im Vergleich zu anderen Flugplätzen, die bereits im Ersten Weltkrieg militärisch bedeutsam waren, beginnt die Geschichte Alt Dabers eher unspektakulär.

Erst ab 1934 wurde das Gelände als Segelflugplatz genutzt. Die militärische Prägung folgte ab 1938 – mit dem Ausbau zur Fallschirmjägerschule. Ab 1939 begann die Ausbildung, und bald siedelten sich hier verschiedene Einheiten an: die Fallschirm-Schule 2, das Fallschirm-Ersatz-Bataillon 3 sowie das Fallschirm-Ergänzungs-Bataillon 4 (beide ab 1941). Bis 1944 wurden hier Fallschirmjäger der deutschen Luftwaffe ausgebildet.

Auch fliegende Einheiten fanden zeitweise ihren Weg nach Alt Daber. So wurde die III. Gruppe des Kampfgeschwaders 4 im Oktober 1942 mit ihren Heinkel He 111 hierher verlegt – um das Schleppen von Lastenseglern zu trainieren. Ein Detail der Geschichte, das man leicht überlesen könnte, das aber in seiner Trockenheit von der martialischen Routine jener Zeit erzählt.

Im Herbst 1944 trafen die ersten Einsatzeinheiten ein – darunter die IV./JG 301 ab Februar 1945 sowie die 1./NJG 100, die von Alt Daber aus bis Ende April 1945 Nachtflüge gegen die vorrückenden sowjetischen Truppen unternahmen.

Flugfeld Alt Daber
Details auf dem Flugfeld Alt Daber
Innenansicht Flugfeld Alt Daber

„Geschichte hinterlässt keine klaren Linien. Nur Spuren, verweht vom Wind, überwachsen vom Gras.“

Flugfeld Alt Daber

Die sowjetische Ära

Mit dem Abzug der letzten deutschen Maschinen am 30. April 1945 – es war der Vorabend der bedingungslosen Kapitulation – endete das Kapitel der Wehrmacht auf dem Flugfeld Alt Daber. Die Rote Armee übernahm den Platz im Mai 1945. Von da an war Alt Daber ein Teil der sowjetischen Militärpräsenz in der DDR.

Ab 1961 wurde der Standort von der 33. IAP, dem Jagdfliegerregiment der 16. Gardejagdfliegerdivision (16. GwIAD), genutzt – unter dem Dach der 16. Luftarmee mit Hauptquartier in Damgarten. Die ersten Start- und Landebahnen waren schlicht: verdichteter Rasen. Erst 1952 errichteten die sowjetischen Truppen eine fast 2,5 Kilometer lange, asphaltierte Rollbahn – ein massiver Eingriff in die Landschaft, und ein deutliches Zeichen für den strategischen Wert des Ortes.

Wer war Herbert Gratzy?

Wer aufmerksam über das Gelände von Alt Daber streift, dem fällt ein kleiner Schrein am Wegesrand ins Auge. Keine große Geste, keine martialische Inszenierung – nur eine schlichte Tafel, auf der ein Name eingraviert ist: Herbert Gratzy. Und doch wird sie bis heute gepflegt, fast zärtlich, so als wolle jemand verhindern, dass dieser Name ganz im Gras der Jahre verschwindet.

Doch wer war dieser Mann?

Herbert Wilhelm Josef Gratzy, Edler von Wardenegg, wurde am 3. Mai 1893 im damals österreichischen Laibach geboren. Früh schlug er den klassischen Weg eines Berufssoldaten ein: Kadettenschule in Graz, dann Militärakademie bis 1914 – Abschluss im Rang eines Leutnants, just in jenem Jahr, in dem sich Europa in den Krieg stürzte.

Anfangs stellte man ihn als Zugführer in Marburg ab, um neue Rekruten auszubilden – doch schon im Dezember 1914 wurde er an die Ostfront versetzt, in die winterlichen Karpaten. Gratzy überlebte den Ersten Weltkrieg und schloss sich nach dessen Ende der neu geschaffenen österreichischen Volkswehr an, später dem Bundesheer.

Sein weiterer Werdegang verlief wie eine Mischung aus militärischer Präzision und persönlichem Wagemut. 1935, inzwischen Major, übernahm er das Kommando einer Fliegerabwehrkompanie – und entdeckte in demselben Jahr seine Leidenschaft für das Fallschirmspringen. Seinen ersten Sprung absolvierte er am 19. Juli 1935. Wenig später gründete er die „Fallschirmspringergruppe Wien Nr. 71“, bestehend aus Männern seiner Einheit. Gratzy wurde Ausbilder, Gruppenleiter, Enthusiast.

Die „Springergruppe 71“ war mehr als nur eine militärische Spielerei – sie war der Versuch, einen neuen Zweig der Truppe aufzubauen, aus eigener Kraft, mit knappen Mitteln. Der Idealismus hatte seinen Preis: Die Finanzierung brachte Gratzy an den Rand des finanziellen Ruins. 1937 publizierte er dennoch das Lehrbuch „Kamerad Fallschirm“, in dem er die Einsatzmöglichkeiten luftgelandeter Einheiten erstmals systematisch beschrieb.

Am 1. Dezember desselben Jahres wurde er zum Fliegerregiment 2 nach Zeltweg versetzt – als Kommandant der dortigen Luftwaffen-Waffenkompanie. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 trat Gratzy in die deutsche Wehrmacht über. Er diente fortan im 1. Bataillon des 1. Fallschirmjägerregiments, wurde am 1. April 1939 zum Oberstleutnant befördert und zwei Monate später zum Kommandanten eben jenes Bataillons ernannt.

Im Herbst desselben Jahres übernahm er schließlich die Leitung der Fallschirmschule Wittstock – am Flugplatz Alt Daber. Ein Ort, den er vielleicht als das logische Zentrum seines Weges sah: Hier konnte er lehren, entwickeln, seine Vision verwirklichen.

Doch das Schicksal schloss sich wie ein zu früh gezogener Fallschirm. Am 18. Januar 1940 verunglückte Herbert Gratzy tödlich bei einem Sprung. Es war kein Unfall im klassischen Sinn – sondern ein tragisches Ergebnis eines Experiments. Er hatte mit verzögerter Fallschirmöffnung gearbeitet, wahrscheinlich um neue Einsatzvarianten zu testen. Doch eine fehlerhafte Höhenmessung und ein technisches Versagen führten dazu, dass sich sein Fallschirm zu spät öffnete. Er schlug auf – und starb.

Sein Tod markiert nicht nur das abrupte Ende einer militärischen Karriere, sondern auch den Verlust eines Mannes, der im Schatten zweier Imperien den Sprung in eine neue militärische Realität wagte – und daran zerbrach.

Der Grabstein von Herbert Gratzy auf dem Flugfeld Alt Daber
Buchcover Kamerad Fallschirm, geschrieben con Major Herbert Gratzy
Flugfeld Alt Daber
Flugfeld Alt Daber
Flugfeld Alt Daber

Fotografie zwischen Erinnerung und Vergessen

Es ist eine besondere Art des Sehens, die man sich an Orten wie Alt Daber aneignet. Eine Fotografie hier ist mehr als nur das Festhalten des Verfalls – sie ist ein Lauschen auf das, was nicht mehr gesagt wird. Man fotografiert nicht nur, was vor einem liegt, sondern auch, was fehlt. Fenster, durch die kein Licht mehr fällt. Türen, die nur noch in ihrer Umrahmung existieren. Geräusche, die einst selbstverständlich waren – das Klacken von Stiefeln, das Kreischen einer Sirene, das Brummen eines Motors – sind heute durch das Summen der Insekten und das Wispern des Windes ersetzt.

Ich ertappe mich oft dabei, wie ich vor einem Gebäuderest verharre, die Kamera in der Hand, aber noch nicht am Auge. Es braucht einen Moment. Manchmal braucht es viele. Diese Orte zwingen zur Langsamkeit, und wer zu schnell klickt, hat nichts verstanden. Gute Bilder entstehen hier nicht durch Technik, sondern durch Haltung.

Die Kamera wird zum Seismographen des Verschwindens. Sie tastet nach Spuren, nach Rissen in der Zeit, nach Fragmenten einer Erzählung, die nur noch bruchstückhaft existiert – wie ein Film, dessen Zelluloid von der Sonne gebleicht wurde.

Und doch liegt in all dem Morbiden etwas Tröstliches. Vielleicht, weil es die Fotografie erlaubt, wenigstens einen Teil zu bewahren. Einen Schatten des Schattens. Eine Erinnerung an eine Erinnerung. Der Moment, in dem der Verschlag, die rostige Tür, der verblichene Schriftzug im Sucher erscheint, ist auch immer ein stilles Gespräch mit der Vergangenheit. Nicht um sie zu verklären, sondern um sie zu würdigen – in ihrer Vielschichtigkeit, in ihrer Widersprüchlichkeit, in ihrer Vergänglichkeit.

An einem Ort wie dem Flugfeld Alt Daber fotografiert man nicht nur, was einmal war. Man fotografiert auch, was bald nicht mehr sein wird.

Flugfeld Alt Daber
Flugfeld Alt Daber
Flugfeld Alt Daber

Alt Daber heute – Stille, Sonne, Rückbau

Heute liegt das alte Flugfeld in einem seltsamen Schwebezustand zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Start- und Landebahnen, einst vom Donner der Motoren vibriert, wurden nach dem Abzug der sowjetischen Truppen zeitweise als Rennstrecke genutzt. Es gab Veranstaltungen, mancherorts ein Hauch von temporärem Leben – doch die großen Pläne blieben aus. Das Gelände verfiel leise weiter.

Erst ab dem Jahr 2014 kam Bewegung in die Fläche – nicht durch neue Visionen, sondern durch einen Rückbau. Mit Mitteln der EU-Förderung für regionale Entwicklung und Unterstützung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben begann man damit, das zu entfernen, was zu lange liegen geblieben war: versiegelte Flächen, kontaminierte Bauten, darunter auch das Gebäude 11 des einstigen Fliegerhorstes. Ein Umweltgutachten diente als Grundlage, Bodenproben zeigten Asbestbelastungen, und selbst die Baumaterialien der Nachkriegszeit hatten ihre eigene Toxizität in den Boden geschrieben.

Und doch war da auch ein anderes Ergebnis: Flora und Fauna hatten sich das Gelände langsam zurückgeholt. Zwischen Betonfugen und verblichenen Landemarkierungen hatten sich Pflanzenarten angesiedelt, die anderswo längst verschwunden sind. Fledermäuse hatten die alten Gemäuer bezogen – ihre Quartiere konnten erhalten werden.

Schon 2011, noch vor Beginn der Rückbaumaßnahmen, wurde ein neuer Akzent gesetzt: Auf einem Teilstück entstand der Solarpark Alt Daber – mit einer Leistung von 67,8 MWp eine der damals größten Photovoltaik-Freiflächenanlagen Europas. 2014 folgte ein Batterie-Speicherkraftwerk. Wo einst Flugzeuge starteten, wird heute Sonnenlicht in Strom verwandelt – lautlos, emissionsfrei, fast poetisch.

Das Flugfeld Alt Daber hat sich gewandelt. Es ist kein Ort des Aufbruchs mehr, kein Ort des Widerstands oder der Parade. Aber es ist auch kein toter Ort. Es ist ein Gelände, das gelernt hat, mit der eigenen Geschichte zu leben. Vielleicht ist das – in einer Welt, die so oft vergisst – das eigentliche Wunder.

Flugfeld Alt Daber
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