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Erinnerung an die Provence, Part1

Weniger als 1 MinuteLesestoff für Minuten

Erinnerung an die Provence, Part1

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Jeder wird mir wohl zustimmen, wenn ich behaupte: Man kann klassisch Urlaub machen – oder ein Land auf eine ganz andere, vielleicht sogar ursprünglichere Weise erleben.

In meinem Fall ergab sich die Gelegenheit, für eine kurze Zeit in Südfrankreich zu leben und zu arbeiten – nicht als Tourist, sondern als jemand, der für ein paar Wochen Teil des Ganzen wurde.

Es war Oktober. Kein Sommerurlaub also, sondern eine gewöhnliche Arbeitswoche. Nur eben an der Côte d’Azur – und das im „Winter“.

Willkommen an der Côte d’Azur

Auf der Suche nach Six-Fours-les-Plages

Ohne große Ahnung, was uns erwartete, ging es kurzerhand mit dem Transporter gen Süden, genauer gesagt nach Six-Fours-les-Plages, unweit von Toulon. Die Hinfahrt legten wir in zwei Etappen zurück. Die erste Nacht verbrachten wir bei Heidelberg. Am nächsten Tag fuhren wir über die Grenze, dann ein Stück westwärts über die Autobahn – und schließlich „straight to way“ Richtung Marseille. Das war der einfache Teil der Reise.

Am Nachmittag verließen wir die Autobahn und suchten auf kleineren Landstraßen unseren Weg. Je näher wir dem Ziel kamen, desto verwirrender wurde die Beschilderung. Was man wissen sollte: Six-Fours-les-Plages ist weitläufig. Unser Quartier lag im Stadtteil Le Brusc – was wir allerdings erst später erfuhren. Dass Le Brusc zu Six-Fours gehört, muss einem ja auch mal jemand sagen!

Optimistisch und mit ein paar Landkarten bewaffnet (ein Navi? Fehlanzeige!) fanden wir schließlich am späten Nachmittag unser kleines, beschauliches Hotel.

Abseits der Saison – Stille Gassen, stille Tage

Trotz angenehmer Temperaturen um die 20 Grad war nicht zu übersehen, dass hier längst die Wintersaison begonnen hatte. Viele Geschäfte und Bars hatten geschlossen, die Straßen wirkten verlassen, kaum eine Menschenseele unterwegs. Der Vorteil: Wir hatten das Hotel für uns allein. Es lag ruhig in einer Nebenstraße, nicht weit vom Kai entfernt. Von außen eher unscheinbar, entpuppte es sich innen als urige Pension in Familienbesitz.

Hinter dem Haus befand sich eine kleine, überdachte Veranda mit Blick auf einen überschaubaren Garten. Alles war rustikal gehalten: grobe Steinplatten statt Fliesen, vereinzelte Blumentöpfe, in der Mitte eine Palme, die sich leise im warmen Mittelmeerwind wiegte.

Das Hotel duParc in Le Bruce
Das kleine “Hotel du Parc” in Le Bruce

Ein größerer Raum im Erdgeschoss diente als Restaurant – oder besser: als „Gute Stube“. Mehr Großmutter als Gastronomie. Eine alte Anrichte fungierte als Frühstücksbuffet. Und das war immer süß – Croissants, Konfitüre, Pain au Chocolat. Für einen herzhaft frühstückenden Norddeutschen durchaus gewöhnungsbedürftig. Dazu Naturjoghurt, den wir glücklicherweise mit frischen Früchten aufwerten konnten.

Pension in Le Bruce
Blick aus dem Fenster unsere kleine Pension

Alltag in Le Brusc – Fähren, Boulangerien und ein bisschen Französisch

Jeden Morgen machten wir uns auf den Weg zur Arbeit. Die kleinen Gassen hinunter, vorbei an windschiefen Fensterläden und zugewachsenen Vorgärten, zum Kai. Von dort brachte uns die Fähre hinüber zur Marina auf der Île des Embiez. Ein kurzer Abstecher in die Boulangerie durfte natürlich nicht fehlen.

Nach Feierabend genehmigten wir uns einen Espresso in einem kleinen Bistro direkt an der Promenade – dem einzigen Ort, der noch geöffnet hatte. Ein einfacher Kaffee, der Blick aufs Meer – das reichte schon, um die Gelassenheit der Region zu spüren. Es wurde schnell zu einem täglichen Ritual.

Auch sprachlich machten wir Fortschritte. Anfangs wurden wir noch als klassische „Deutsche“ erkannt – mit all den typischen Zuschreibungen. Doch je mehr wir uns bemühten, unsere Wünsche und Gedanken auf Französisch zu äußern, desto offener wurden uns die Türen. Bei der Wirtin, beim Fährmann, beim Cafébesitzer.

Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, zumindest zu versuchen, sich den lokalen Gepflogenheiten anzupassen – und dazu gehört nun einmal die Sprache. Es ist arrogant zu glauben, man werde als Deutscher überall in Deutsch verstanden, nur weil man Geld bringt.

Unser kleines Kaffee direkt an der Promenade
Das kleine Kaffee, direkt an der Promenade und der herrliche Blick auf den Hafen von “Le Bruce”

Zwischen den Zeilen – Wenn das Eis taut

Weil wir außerhalb der Saison unterwegs waren, gab es so gut wie keine anderen Touristen. Die Einheimischen waren englischer Sprache gegenüber eher zurückhaltend. Aber ein einziger französischer Satz – mit Akzent, aber ehrlich gemeint – genügte oft schon, um das Eis zu brechen. Und mit jedem Tag wurde es leichter. Es stimmt: Man lernt eine Sprache am besten, wenn man sie lebt.

Unter der Woche verlief alles fast wie zu Hause – nur eben mit mehr Sonne, mehr Meer und einem Hauch von Pastis in der Luft. Die Wochenenden nutzten wir für kleine Ausflüge in benachbarte Orte: Sanary-sur-Mer, Bandol, Saint-Tropez – und natürlich Toulon.

Sanary-sur-Mer – Exil unter südlicher Sonne

Einer der ersten Ausflüge führte uns ins benachbarte Sanary-sur-Mer. Anders als im stillen Le Brusc pulsierte hier noch ein wenig Leben – gerade so viel, dass man ahnen konnte, wie es zur Hochsaison sein muss.

Wie so oft in dieser Gegend bestimmt der Hafen das Bild. Aufgereiht wie Perlen an einer Schnur lagen dort die Boote – einfache Fischerboote neben glänzenden Yachten, die Millionen kosten dürften. Direkt dahinter, entlang der Kaistraße, reihte sich ein Café ans nächste, dazwischen kleine Läden, Stände mit bunten Tüchern, Fischernetzen und Lavendelduft.

Der Hafen von Sanary-sur-Mer
Der Hafen von “Sanary-sur-Mer”

Auch wir ließen uns nieder, bestellten Kaffee und genossen die mediterrane Gelassenheit. Spätestens in diesem Moment wurde klar: Hier schlägt das Leben einen anderen, ruhigeren Takt. Ohne Hast, ohne Hektik.

Wir durchstreiften die kleine Altstadt, ließen uns treiben – und stießen auf Spuren der Vergangenheit. Was wir zunächst nicht wussten: Sanary war einst ein Zufluchtsort für deutsche Intellektuelle im Exil. Schon um die Jahrhundertwende zog es Künstler wie André Salmon und Moïse Kisling hierher. In den 1930er-Jahren, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurde der Ort zum Rückzugsraum für eine ganze Generation deutscher Schriftsteller und Denker.

Die Liste liest sich wie ein Literaturlexikon: die Gebrüder Mann, Bertolt Brecht, Franz und Helene Hessel, Egon Erwin Kisch – sie alle suchten und fanden hier einen Ort der Stille, der Arbeit, des Überlebens.

Vor diesem historischen Hintergrund bekam unser kleiner Ausflug plötzlich eine unerwartete Tiefe. Ein Ort, der mit Sonne lockt – und gleichzeitig Spuren einer dunklen Zeit bewahrt. Eine Erinnerung, die nachwirkt.

Bandol – Wo das Land steil endet

Ganz anders der Ausflug nach Bandol. Hier ging es nicht ins Stadtzentrum, sondern hinaus – dorthin, wo das Land sich plötzlich verliert. Direkt an der Küste, dort, wo steile Felsen ins Meer stürzen.

Abseits der Straßen führten schmale, teils überwachsene Pfade entlang der zerklüfteten Klippen. Die Vegetation war üppig, fast wild: dichte Sträucher, niedrige Kiefern, hin und wieder Palmen. Zwischen den Büschen lag der Duft von Harz, Salz und Wind.

Wenn man den Blick senkte, fiel er auf den steinigen Untergrund – man hätte sich in ein Hochgebirge versetzt fühlen können. Doch ein Blick zurück auf das Meer genügte, um sich zu vergewissern: Dies hier ist Mittelmeer. Und es zeigte sich in Farben, die kein Foto und kein Pinsel je festhalten kann. Vincent van Gogh schrieb einst über das Meer hier:

“Das Mittelmeer hat trügerische und wechselhafte Farben. Man weiß nie genau, ist es grün oder ist es violett. Du kannst nicht mal sagen, dass es blau ist, denn im nächsten Moment schimmert es rosa oder grau.”

Vincent van Goth
Die Steilküste bei Bandol Frankreich
Die Buch bei Bandol

Diese Worte begleiteten mich, während wir entlang der Felsen wanderten. Und sie erklären vielleicht, warum sich mir diese Landschaft so tief eingeprägt hat. Was bleibt, sind Bilder – und ein grenzenloses Farbenspiel, das keinen Rahmen braucht.

Weiter mit Teil 2 ►

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